“Technisierung, Institutionalisierung und Raum”, Vortrag Richard Rottenburg am 14.11.2019 in Berlin

Der SFB 1265 „Re-Figuration von Räumen“ lädt herzlich ein zum öffentlichen Vortrag von Richard Rottenburg (Wits University, Johannesburg) mit dem Thema “Technisierung, Institutionalisierung und Raum”.

Der Vortrag wird stattfinden am Donnerstag, den 14. November 2019 um  19 Uhr in Raum  BH-N 230, Ernst-Reuter-Platz 1, 10587 Berlin

 

Aus der Veranstaltungsbeschreibung:

 

Abstract:

Wie kann Raum gleichzeitig Bewegung und Stabilität ermöglichen? Welche Folgen hat die Beantwortung dieser Frage für die Be- und Entgrenzung von Raum? Der Vortrag zieht für seine Argumentation Herangehensweisen des Pragmatismus, der Wissenschafts- und Technikforschung (STS) sowie der material-semiotischen Analyse heran. Die allgemeine These ist, dass Bewegung und Stabilität zwei Seiten desselben Vorgangs sind. Jede Bewegung ist nur relational zu stabilisierten Arrangements zu verstehen und umgekehrt. Jede Entgrenzung impliziert eine Begrenzung und umgekehrt. Die Kernthese lautet, dass es beim Übergang von Bewegung (hier als Zirkulation von Elementen aufgefasst) in Stabilität (hier als Netz von Institutionen begriffen) zu einer vorübergehenden Entflechtung von Stofflichkeit und Bedeutung der Elemente und anschließend zu einer neuen Verflechtung kommt. Die damit verbundenen Fragen sollen anhand ausgewählter zirkulierender Technologien untersucht werden. Zur Veranschaulichung dieses Vorgangs eignet sich die Zirkulation der sogenannten ART (Antiretrovirale-Therapie) als medikamentöse Behandlung von AIDS. Die Verbreitung der Tabletten ist eine Sache, doch die Verbreitung des komplexen Netzes von Institutionen, die eine erfolgreiche Therapie mit den Tabletten erfordert, ist eine andere Sache.

Ausgangspunkt des Vortrags ist die allgemein anerkannte Feststellung, dass sämtliche Dinge, die in sozialen Welten als solche aufgerufen werden, das Ergebnis von Zirkulations- und damit von Translationsprozessen sind. Um zu Etwas zu werden, müssen Elemente der (immer schon interpretierten) Wirklichkeit zu diesem Etwas zusammengefügt und stabilisiert werden. Dafür werden ständig Elemente aus anderen Zusammenhängen herausgelöst bzw. es werden neue Verbindungen zwischen vorher unverbundenen Elementen geschaffen. Jede Verfestigung von Dingen – die erst in Vernetzungen zu Ermöglichungsstrukturen (Agencements) real werden – erfolgt auf Kosten anderer Verfestigungen, die schwerer vorstellbar werden. Dieser ganze Vorgang findet nicht voraussetzungslos statt, sondern setzt ein historisch gewachsenes Translationsregime mit entsprechenden Archiven, Codierungen und multiplen Rechtfertigungsordnungen voraus, die sich im Laufe des Übersetzungsvorgangs wiederum alle verändern.

Die zirkulierenden Elemente sind material-semiotische Verbindungen – sie umfassen stets Stofflichkeit und Bedeutung. Im Zuge ihrer Translation – ohne die sie nicht zirkulieren würden – werden sie teilweise auf-gebunden und neu zusammengebunden. Erst dieser Vorgang ermöglicht die Einbindung – die Institutionalisierung – der nunmehr übersetzten Elemente in Etwas, das als Teil eines neuen Agencements zum Ding wird. Oft problematisieren diese Veränderungen die material-semiotischen Verbindungen, welche die Dinge als solche auszeichnen. Praxeographische Vertiefungen sollen prüfen, inwiefern man davon sprechen kann, dass es bei der Zirkulation von Technologien zu einer partiellen Entflechtung ihrer materialen und semiotischen Anteile kommt, sofern sich die stofflichen leichter als die semiotischen de- und re-kontextualsieren lassen. Nachdem zwischen 1987 und 1994 die ersten Medikamente auf dem Markt erschienen, die AIDS als chronische Krankheit eindämmen konnten, richtete sich die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Bereitstellung der Tabletten. Nach einigen Jahren verschob sich die Aufmerksamkeit nach und nach auf die schier unendlichen Verknüpfungen der Krankheit und der Heilung mit anderen Dingen und Institutionen von unterschiedlicher Reichweite. Anhand dieses und anderer Beispiele soll gezeigt werden, wie das ständig werdende und nie abgeschlossene Verhältnis von Technisierung und Institutionalisierung ständig Räume verändert, öffnet und schließt.